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Heiner Geißler Interview   11.04.2010

Minimum wages as remedy, especially against wage dumping. Myth: cheap labour necessity because of competition. "The unsocial market economy"

Jörg Schönenborn: Jörg Schönenborn: Ich will zunächst noch mal auf die Menschen eingehen, die Sie gerade beschrieben haben. Sie haben von menschenwürdiger Arbeit gesprochen. Ich erinnere mich an eine Fernsehdokumentation, die ich vor einigen Wochen gesehen habe. Da ging es um Menschen, die trotz Arbeit arm sind. Da war ein Wachmann, der hatte eine richtige Ausbildung als Fachkraft für Sicherheit und Schutzdienst. Und der arbeitete den Monat voll im Schichtdienst, 20 Überstunden, und packte dann vor der Kamera am Monatsende den Lohnzettel aus. Da standen €945 netto drauf, und man konnte richtig sehen, wie die Tränen in die Augen schossen, wie er sich schämte. Und als Zuschauer schämte man sich mit. Die Arbeit ist nicht menschenunwürdig, der Lohn ist das Problem. Wass hätten Sie dagegen getan?

Heiner Geißler: Wir müssen nach meiner Auffassung Mindestlöhne einführen, denn diese Öffnung nach unten, daß die Leute gezwungen werden jeden Job zu akzeptieren der angeboten wird, führt ja dazu, daß viele Arbeitgeber den Leuten eben sagen, "von mir kriegt ihr €3,50 oder €4, und den Rest holt ihr euch vom Staat". Daß heißt, wir finanzieren im Grunde genommen, qua Steuerzahler einen Teil der Löhne, die eigentlich vom Arbeitgeber bezahlt werden müßten. Und das Argument von Dienstleistern, die die Konkurrenz fürchten und sagen, bezahle ich mehr als €3 oder €4, dann kann ich nicht mehr überleben weil nebenan einer sitzt, der nur €2 zahlt, der dadurch geringere Kosten hat, kann ich durchaus verstehen. Deswegen brauchen wir ganz sicher Mindeststandards.
Sieben Jahre [war ich] Zentralschlichter im Bauhauptgewerbe, und 1990 ist bei einer Schlichtung, die ich geleitet habe zum ersten mal in Deutschland ein Mindestlohn eingeführt worden (sogar zwei Mindestlöhne - für den Baufacharbeiter und auch für den normalen Bauarbeiter), und zwar mit Willen der Arbeitgeber, weil sie sich schützen wollten vor Dumpinglöhnen aus den Neuen Ländern und aus Osteuropa.

Das ist ja das Problem, daß Lohndumping hoffähig geworden ist, auch durch eine falsche Interpretation der Wirtschaftswissenschaften, oder überhaupt als Folge einer falschen Theorie der Wirtschaftswissenschaften. Prof. Sinn, Präsident des IFO-Institut in München hat ja den kühnen Satz geprägt, "Je niedriger die Löhne, desto mehr Arbeitsplätze". Genau das ist nicht eingetroffen. Kann auch nicht eintreffen. Aber es klang so plausibel, und alle haben sich danach gerichtet - die Politiker, und die Journalisten, und wer auch immer sich mit dem Thema beschäftigt hat, die haben gesagt: Niedrige Löhne. Aber es führt zu Lohndumping, etwas das in der Sozialen Marktwirtschaft kein Platz haben darf, denn der Wettbewerb muß sich konzentrieren auf etwas ganz anderes, nämlich auf die Qualität der Produkte und die Qualität des Service. Und wenn der Lohn plötzlich zum Wettbewerbskriterium wird, dann gibt es kein Halten mehr. Das Ergebnis ist die Erfahrung, die wir vom Bau gehabt haben, ist dann Pfusch am Bau.
Wenn die Leute nicht mehr entsprechend bezahlt werden, also entsprechend ihrer Leistung ihren Lohn bekommen, dann liefern sie keine qualitativ gute Arbeit ab.

Es gibt ein Gegenbeispiel. Wir sind ja Exportweltmeister. Aber das sind wir in Maschinenbau, in Anlagenbau, in Automobilbau, in der Elektroindustrie. Eigenartigerweise ist aber gerade in diesen Wirtschaftszweigen die IG Metall am besten organisiert. Und dort werden die höchsten Löhne bezahlt. Exportweltmeister sind wir nicht deswegen, weil wir die billigsten sind, sondern weil wir besser sind als die anderen. Daß wir besser sind, hängt damit zusammen, daß die Menschen, die diese Produkte herstellen einen gerechten Lohn bekommen, d.h. einen Lohn, der ihrer Leistung entspricht. Wenn ich Dumpinglöhne zum Gegenstand des Wettbewerbs mache, dann ist eben Pfusch das Ergebnis.




 

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